in Deutschland

«--- zurück zum Menü


Privater Autobahnbau kostet den Bund Hunderte Millionen an Nachzahlungen

Von Matthias Kamann
Politikredakteur

Stand: 29.06.2021 | Lesedauer: 4 Minuten

Mehr als 220 Millionen Euro musste Andreas Scheuers (CSU) Verkehrsministerium für sogenannte ÖPP-Projekte nachschießen, bei denen eigentlich ein fester Preis vereinbart war. Die Ursachen bleiben dem Steuerzahler aber verborgen - die Informationen sind "Verschlusssache". 48 Millionen Euro kostete der Ausbau der A7 zwischen Hamburg und Bordesholm (Foto vom Dezember 2018)
Quelle: picture alliance/dpa

Das Bundesverkehrsministerium sieht große Kostenvorteile: Wenn der Neu- oder Ausbau einer Autobahn als ÖPP-Projekt durchgeführt werde, so heißt es auf der Website des Hauses von Minister Andreas Scheuer (CSU), dann würden "optimierte Finanzierungsstrukturen" dazu führen, dass eine ÖPP-Realisierung (Öffentlich-Private Partnerschaft) "im konkreten Fall wirtschaftlicher sein kann als eine herkömmliche Beschaffung".

Entsprechend wurde in den Amtszeiten von Scheuer sowie seinen Vorgängern und Parteifreunden Peter Ramsauer und Alexander Dobrindt (beide CSU) der Bau langer Autobahnabschnitte zu Festpreisen privaten Konzernen übertragen, die jene Teilstücke dann jahrzehntelang betreiben.

Doch jetzt stellt sich heraus, dass die Festpreise vieler ÖPP-Projekte so fest nicht sind: Bei elf Autobahnabschnitten vergütete der Bund den privaten Vertragspartnern zwischen 2009 und Mai 2021 Nachträge in Höhe von insgesamt mehr als 220 Millionen Euro. Dies ergibt sich aus einer WELT vorliegenden Antwort des Verkehrsministeriums auf eine Berichtsanforderung des Grünen-Haushaltspolitikers Sven-Christian Kindler.

Der teure Ausbau der A7

Am höchsten waren die Zusatzkosten beim sechsspurigen Ausbau der A7 zwischen Göttingen und Bockenem in Niedersachsen. Dort belaufen sich die bisher vergüteten Nachträge auf 113 Millionen Euro. Das entspricht mehr als zwölf Prozent der ursprünglich veranschlagten Baukosten des Bundes in Höhe von 926 Millionen Euro.

An zweiter Stelle steht bei den Nachträgen mit 48 Millionen Euro ein weiter nördlich gelegener A7-Abschnitt zwischen Hamburg und Bordesholm in Schleswig-Holstein, wo sich eine Steigerung von gut drei Prozent ergibt. Nachträge von 17 Millionen wurden für die A1 zwischen Bremen und Buchholz in der Nordheide fällig.

Bauarbeiten auf der A7 zwischen Hamburg und Bordesholm nahe Kaltenkirchen (Foto vom Mai 2017)
Quelle: picture alliance / Axel Heimken/

Keine Nachträge gab es demnach bei lediglich zwei Projekten, deren Vertragslaufzeit aber erst im Jahr 2020 begann, sodass sich bei ihnen eventuelle Zusatz-Vergütungen noch nicht abschätzen lassen. Nach Kindlers Berechnungen für alle vom Ministerium aufgelisteten Vorhaben haben die jeweils genannten Nachträge "die laufenden ÖPP-Projekte schon um rund sieben Prozent teurer gemacht", wie Kindler WELT sagte.

Die nachträglichen Kostensteigerungen sind insofern brisant, als sich durch sie die Finanzierungsbilanz des Bundes bei jenen Vorhaben verschlechtert. Dabei ist jene Bilanz nach Einschätzung des Bundesrechnungshofes ohnehin schon problematisch. Seit Jahren monieren die obersten Rechnungsprüfer, dass viele ÖPP-Projekte schon wegen der Vertragskonstruktion für den Bund nicht günstiger kämen, als wenn der Staat selbst den Autobahnbau auf konventionelle Weise mit Einzelaufträgen an Baufirmen durchführen würde.

"ÖPP-Projekte im Straßenbau sind für den Bund nicht wirtschaftlich", urteilt Kindler. Vielmehr würden sie "im Betrieb sogar noch teurer", weil die Unternehmen "immer wieder Nachforderungen" stellten. "Und das", so Kindler weiter, "obwohl der angebliche Vorteil bei ÖPP-Projekten der feste Preis sein sollte. Die Versprechungen von höherer Effizienz und Kosteneinsparungen durch ÖPP-Projekte sind nichts als Märchengeschichten."

Hintergründe der Zusatzausgaben bleiben verborgen

Zu den speziellen Kostenfaktoren von ÖPP zählen die Beraterausgaben des Bundes. Die fallen an, weil das Ministerium die hochkomplexen Verträge mit den juristisch versierten Konzernen nur unter Zuhilfenahme externer Großkanzleien abzuschließen vermag. Allein für solche Beratungsleistungen im Zusammenhang mit ÖPP-Projekten beim Bundesfernstraßenbau wurden zwischen 2005 und 2020 insgesamt 19,8 Millionen Euro ausgegeben.

Was die Nachtragszahlungen des Staates an die Vertragspartner betrifft, so bleiben die Gründe dafür unklar. Das Ministerium weigert sich in der genannten Antwort explizit, die konkreten Ursachen zu nennen. Diese, so heißt es in dem Schreiben, "betreffen exklusives kaufmännisches Wissen Dritter" und "berühren somit verfassungsrechtlich geschützte Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse der betroffenen Unternehmen". Daher sei eine Veröffentlichung unmöglich.

Die Informationen lägen als "Verschlusssache VS-Vertraulich" in der Geheimschutzstelle des Bundestages. Faktisch bleiben somit die Hintergründe staatlicher Zusatzausgaben von mehr als 220 Millionen Euro der Öffentlichkeit verborgen.

Das bedeutet eine zusätzliche Verschlechterung bei einem weiteren ÖPP-Problem, nämlich der mangelnden Transparenz. Schon über die konkreten Details der Wirtschaftlichkeitsuntersuchungen, mit denen vor Vergabe jedes ÖPP-Projekts dessen Überlegenheit gegenüber einer konventionellen Vergabe geprüft werden muss, weiß die Öffentlichkeit wegen der Interessen privater Unternehmen fast nichts. "Andreas Scheuer", meint Kindler, "fürchtet die Transparenz bei ÖPP-Projekten, daher hält er die Wirtschaftlichkeitsberechnungen zu allen ÖPP weiterhin gezielt unter Verschluss."

Ersichtlich hingegen wird aus der Antwort der Bundesregierung auf Kindlers Berichtsanforderung sowie auf eine vorherige Anfrage der Linke-Fraktion, wie sehr der Markt für ÖPP-Projekte von großen Konzernen dominiert wird. Hinter den Vertragspartnern des Staates stehen große Gesellschaften wie Vinci, Hochtief, Strabag oder BAM PPP, die bei solchen Projekten wegen deren Umfang und der Komplexität der Planung und Durchführung mittelständischen Firmen weit überlegen sind.

Nach Kindlers Einschätzung profitieren somit von der ÖPP-Politik des Verkehrsministeriums "große Baukonzerne, Banken und Versicherungen". Aus all dem folgert der Grüne: "Öffentlich-Private Partnerschaften im Straßenbau müssen gesetzlich verboten werden."


Quelle: welt.de


© infos-sachsen / letzte Änderung: - 16.01.2023 - 16:52